Hinter den Stunden kämpft der Supermarkt des geringsten Misstrauens mit relativen Zeitangaben: Die neuen Kollegen des Vorjahres sind jetzt die alten Neuen. Die neuen Neuen wuseln zwischen den Regalen, stolpern über Warenträger und leere Kartons und suchen die richtigen Fächer, die richtigen Schilder, ihr Selbstvertrauen und den Feierabend. Über die Lebkuchen und Spekulatius hinaus steht jetzt auch der Winterhopfen in den Kästen; auf kaltblauen Etiketten tragen Arbeiter in roten Kutten Fässer durch eine verschneite Nacht. Ein mittelalter Herr im abgegriffenen Büro-Anzug lernt den Mindestbetrag für Kartenzahlung, packt dafür kurz entschlossen eine Flasche Korn aufs Band, die verstörten Blicke von Frau und Kind scheinbar übersehend. Dann schließen die Türen, Lichter erlöschen. Kalter Erntemond strahlt über den Flachbau. Der Tag verweht.

Mittag. Immer zu früh immer zu spät. Immer am Kalender: Blaue Blöcke rollen vorbei, verändern Form und Größe, überschlagen sich, zerbrechen in tausend Teile. Am Straßenrand hat wucherndes Unkraut mittlerweile buschhohe Ausmaße angenommen. Bis auf die Hunde des Viertels, die das dankbar begrüßen, nimmt niemand wirklich Notiz. Ungeordnete Abläufe auch im Supermarkt des geringsten Misstrauens. Altes Personal weist neues Personal ein und zurecht. Die falschen Dinge in den falschen Regalen, immer noch fehlt einiges und vieles ist ohnehin zu teuer. Hinter der Kasse sortiert ein junger Mann seine Waren in den Korb und legt dabei Dinge in einem Rhythmus und Muster ab, bei dem es schwer fällt, die eigenen irritierten Blicke von den Händen zu lösen. (Auch: Diskussion über Relevanz und Hausaufgaben in der Textspur. Halbe Pause, halber Termin. Same old.)

Dann Mittagspause abseits. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens herrscht weite Stille, selbst die Musik, die manchmal fest mit dem Gebäude verbaut scheint, schweigt heute. Ein junges Pärchen sortiert lustlos Äpfel und Birnen in ihren Korb, einige Meter weiter türmen sich Lebkuchen hinter welkenden Blumensträußen dem Neonblechdach entgegen. Regallücken füllen sich wieder, nur über den Preisschildern für Korn und Whiskey gähnt immer noch Leere. Der neue Verkäufer lebt von sehr zurückhaltender Freundlichkeit, die versuchtem, aber schlechtem Humor in die Quere kommt. Also packt man in den Wagen, was man hat, bezahlt und sieht zu, das Weite zu finden. (Der Wind treibt Laub und eine weiße weiche Feder über den Parkplatz. An der Ecke sitzen Schüler mit Brotbüchsen und lachen. Schatten der Stunde sind kürzer, als sie sich anfühlen.)

Samstagmorgen. Vom Fluss her zieht Nebel zwischen die Häuser, strahlt diffus in erster Sonne, umhüllt und dämpft alles, was die Dunkelheit zurückließ und der Tag schon weckte. Noch fehlt erster Kaffee, noch hält sich vieles an den Träumen einer tiefen Nacht fest. Ferner: Wer abends nicht mitdenkt, steht früh im Supermarkt des geringsten Misstrauens und beobachtet verschlafen, wie die Regale und Kühltruhen erwachen - ein seltenes und eher fragwürdiges Vergnügen. Übungen in Smalltalk und Interaktion zur Unzeit, dann schließen automatische Türen und der Morgen kann Form finden. Habt es mild heute!