(Der Regen wird erst unterwegs wieder dichter, tanzt im matten Strahlerkegel über den Pfützen, bildet an Kreuzungen einen löchrigen Vorhang, durchdringt ohne besondere Eile Hose und Haare und tropft von der Nasenspitze. Alles ist etwas lauter in solchen Momenten, die Strecke wird länger, die Details am Rande verschwimmen im Versuch, sich möglichst schnell wieder der Witterung zu entziehen. Dann: Beton unter den Füßen. Neonröhren flackern. Der Hausmeister räumt den fast leeren Keller auf. Im dunklen Büro gegenüber blinken Telefone und halbschlafende Bildschirme um die Wette. Also Büroküche. Maschinen in Gang bringen. Erster Kaffee, erster Haken auf der Liste der Dinge, die die Tagesroutine formen. Noch bietet das Jetzt etwas Raum dafür. Habt es mild heute!)

Früher Tag, üblicher Morgen: Krümelkaffee mental zwischen Tür und Angel. Der Leuchter auf dem Küchentisch trägt seine Kerzen schief, dahinter stehen noch Plätzchen und Gebäck vom Weihnachtstag in Dosen und Tüten. Radio als Tonspur, gesprochene Worte verklingen unverstanden, unverarbeitet. Augenreibender, ungläubiger Blick auf das Datum. Und dann: Nachdenken, wo Heute beginnt. Welche der losen Enden heute mit auf den Plan müssen. Und welche in der Schublade ruhen dürfen, oder im Keller. Immer noch irgendwie Zwischenzeit, nur halb im Takt. Habt es mild heute.

Erwachen hinter offenen Fenstern. Der Duft von Weihnachtstauwetter liegt über allem, ohne dass es vorher Schnee gegeben hätte. In den Höfen singt, raschelt, klappert alles, was sich dem böigen Wind zugänglich zeigt. Darüber hinaus hallt das Stille der Nacht immer noch nach in den leeren Straßen. Heute blieben alle Lichter erleuchtet, der neue Tag lässt das Fortschreiten aller Zeit einschließlich der eigenen wieder sehr nah kommen, aber im frühen ungetrübten Glanz lebt auch eine alte ursprüngliche Faszination, die dem Moment etwas Besonderes, Intensives verleiht, einen berührt und erdet. (Habt einen glücklichen und friedvollen Weihnachtstag, ganz gleich, wie Ihr ihn verbringt und was er für Euch bedeutet.)

Manchmal ist der Morgen auch eine schlecht aufgeräumte Küche, eine Tasse kalten Tees und Geschirr, das in der Spüle verblieb, weil die Nacht zuvor lang andauerte und irgendwann schnell in Finsternis verschwand. Linkische Dehnübungen in dunklen Fluren. Gelegentliches Knacken. Nicht nur die Mechanismen des Selbst sind noch in obskuren Ruhestellungen und Schonhaltungen eingerastet. (Unten singt eine fern und teilnahmslos wirkende Stimme längst wieder Kinderlieder, heute mit weihnachtlichem Einschlag. Es regnet nicht mehr, trotzdem gluckert noch Wasser in den Rinnen vor dem Dach. Dazu Kaffee. Etwas Brot. Und die richtige Menge an Zeit für den frühen Samstag. Habt ihn mild.)

Der Morgen bringt schmutziges Licht und mehr Wind. Regentropfen auf den Scheiben, es knarrt und klappert in und über der Fassade, unten kämpft ein früher Passant gegen die missmutigen Böen. Wieder ist keine richtige Wärme in diesen Räume zu schaffen, also helfen Kerzen und der erste Kaffee, in abgestandener stickiger Luft. Normale Rituale, trotzdem etwas anders als sonst: Voller Plan, aber wenig Termine in diesen Stunden. Sich ausdünnende Anwesenheitslisten. Urlaubsbenachrichtigungen fluten alle Eingänge, auch in diesem Jahr dominiert Faulheit über den Wunsch, sich einen Filter für derlei Kommunikation einzurichten: Versuch einer Trennung zwischen Nervigem und Wichtigem. Mit ungewissem Erfolg. Habt es mild heute!

Nochmal Büromorgen. Bekanntes Umfeld, bekannte Probleme: Entweder viel zu hell oder viel zu dunkel. Frühe Selbst-Findung im Schimmer von Monitoren, Ahnungen einer Tasse vom Vortag auf dem Schreibtisch, und ein größerer Stapel von Notizen, deren Wichtigkeit für heute sehr zu hinterfragen ist. Jenseits des Hofes, zwei Etagen tiefer, räumen fleißige Hände im großen Besprechungsraum die Reste der gestrigen Weihnachtsfeier in schwarze und blaue Säcke. Ein Computer hängt im Anmeldebildschirm fest, zwei dunkle Silhouetten begegnen einander in einer anderen Küche. Novemberregenstadthimmel, die nächste Straßenbahn rattert durch nasse Weichen, Sonne und Schnee könnten nicht ferner sein. (Musik abstellen. Posteingang systematisieren. Zweiter Kaffee. Unwuchten im eigenen Rundlauf ausgleichen, damit der Tag rollen kann. Habt es mild heute!)

Spätes Einschlafen, Erwachen gerade so weit vor dem Wecker, dass es wenig Sinn hat, die Augen nochmal für länger zu schließen, aber auch noch zu früh ist, schon aufzustehen. Und plötzlich findet man sich in der Bahn wieder, Kurzzug, stehend an der Tür, um weit genug weg bleiben zu können von Allem. Umtanzt von Ampeln und Laternen und Reflektionen von Ampeln und Laternen und den Blicken von Verkehrsschildern und Richtungspfeilen, die vom Asphalt her indifferent und kühl durch das Glas der Türe starren. (Im anderen Hof, Minuten weiter, duftet es nach Kaffee und Zimt, obwohl die Büros ringsum alle noch schlafen, und für einen Augenblick erahnt man dunkel den Hausmeister in irgendeiner Ecke bei seinem improvisierten Frühstück, findet das orangefarbene Glimmen aber nicht und sieht zu, dass man in den Fahrstuhl und wieder hoch über die Dinge kommt. Gruß in den Sonnenaufgang. Reihenfolgen und Durcheinander. Das Übliche eben, auch heute. Habt den Morgen mild!)

Wieder erwacht in den Morgen, viel zu früh. Kleine Venus am noch tiefschwarzen Himmel, darüber ein erstes Flugzeug, zwei blinkende Punkte auf stillem Weg nordwärts. Kühle der Stunde im Heimbüro. Noch einmal die Geschäftswoche umblättern, für ein spürbar kürzer werdendes Jahr. Blöcke sortieren, nach Größe und Wichtigkeit, erfühlen, wie viel Zeit sich noch aus den Tagen wringen lässt. Echte und falsche Fehlermeldungen aufräumen, die Hinterlassenschaften des Wochenendes, der Nacht aus den Postfächern kehren. An Kleinigkeiten hängenbleiben, die kaum Auswirkungen haben, nichts verschlimmern, aber in ihrer Summe nervöses Unwohlsein auslösen. (Dann kocht das Kaffeewasser, und die ersten vorsichtigen Gedanken ranken sich um Wichtigeres. Der Montag darf beginnen. Habt ihn mild!)