Anderer Morgen, selber Ort. Kleiner Rhythmus des Erwachens im größeren Rhythmus zwischen den Orten. Warten am Fenster. Auf Vögel im Futterhaus. Auf das zurückkehrende Licht. Auf die Sonne. Auf den Frühling. Erster Kaffee, merklich nach den Kirchglocken, die der Wind des Tages ohnehin eher für sich und den Wald behielt. Frösteln, auch in Resten von Müdigkeit. Noch sind Gedanken und Stimme kratzig, noch ist der Sonntag unfertig und vage. Habt es mild heute!

Einschlafen mit dem Wind, erwachen mit dem Wind. Vorübergehend irritiert, wie viel Aufmerksamkeit die Sinne punktuellen Wetterphänomenen zugestehen. Ungeachtet solcher Betrachtung findet das Morgenleben wieder in Straße und Viertel zurück. Zwei Krähen an der Kreuzung untersuchen die Reste in einem Pizzakarton, bis sie von einem ebenso neugierigen wie lauten Hund vertrieben werden und entrüstet krähend auf den nächsten Laternenmast fliehen. Ein Kind mit Laufrad, ein Vater mit Zigarette und einem Dutzend bunter Schlüsselbänder von der Hosentasche an abwärts. Ein Busfahrer in Regenjacke. Und ein älteres Paar, dunkel gekleidet, unterwegs in Schritten, die sichtbar anstrengen. Genügend Wege für alle, und die Grenzen zwischen Miteinander und Nebeneinander sind auch am Sonntagmorgen sehr fließend. Habt es mild heute. 

Und wieder Dämmerung, Frost und verschiedene Arten von Nebel. Unterbewusst der Schlag von Kirchglocken, die Kinder der Nachbarhäuser sind längst wach, während ihre Eltern noch Schlaf und Traum vortäuschen. Weit vor dem ersten Kaffee, Erinnerungen nachhängend, Pläne schmiedend auf Probe und doch sehr genau um die eigenen Möglichkeiten, Grenzen, Kräfte wissend. Aber der Vorsatz schadet wohl nicht. Habt es mild heute. 

Sehr viel später, oder früher: Noch einmal mit den Gespenstern tanzen, bevor sie sich zur Ruhe legen. Katze beobachten, die am offenen Fenster sitzt, Morgenluft im glatten Fell, und ihrerseits reglos die erwachenden Höfe mustert. Nachhall vergangener Stunden ausklingen lassen zusammen mit jenen Träumen, auf die man verzichten kann. Ordnung schaffen vor dem ersten Kaffee. Habt es mild heute. 

(Und dann Morgen, kalt, übernächtigt von zu wenig Schlaf oder zu viel Schlaf oder zu vielen Meilen der Wanderung durch unwirkliche Welten. Zögerndes Einfinden in normale Taktung. Treppe unter noch wackeligen Füßen, viel Mechanik, wenig Klarheit. Bäcker, Straße, Wäschekeller. Nebenan wuseln Mäuse durch zerknülltes Papier, eine Lampe flackert, im Heizungsraum spuken die ihm eigenen Geister. Noch trägt die Gegenwart die Gewebe der Nacht, einiges vor dem ersten Kaffee. Habt es mild heute!)