Mittag. Ein Augenaufschlag im verwehenden Regen. Ein Einschwingen, Mitschwingen, knapp an Resonanz. Ein Blick über die Dächer, hinunter an grauen Fassaden. Heute bleiben die Fenster die Türen geschlossen, aber wenn unten neben Haltestelle und Baustelle die Welt vorübergehend lauter wird, wenn die Kinder einander um die Lichtmasten und Stapel aus Baumaterial jagen und junge, schwarzbärtige Gesichter in anderen Sprachen nachdrücklicher diskutieren, wackeln hier und da die Gardinen und erzählen Geschichten von Abstand, Vorsicht, Neugier, Sorgen; Geschichten, die dumpf und schwer klingen. (Benachrichtigungen umleiten. Regeln niederschreiben, um die Eingänge zumindest punktuell zu filtern. Windmühlen, flügellahm. Wieder viel zu enger Takt.)
Dann doch Sonne von irgendwo, und blendende Reflektionen, die wie Irrlichter über rauhe Wände tanzen: Gegenüber werden Balkontüren geöffnet, Stühle und Tisch bewegt, ein Schirm aufgeklappt. Unten schlendern Bürobewohner quer durch die Kreuzung dorthin, wo seit einigen Tagen eine bunte neue Flagge neben dem Eingang weht. Immer kommt irgendwer auf die Idee, an solchen Orten eine übermannsgroße Puppe aufzustellen, die luftbetrieben mit mechanischem Arm den Passanten winkt und immer wieder vor allem anderen dezent verstörend wirkt. Postbote an der Ecke, eine Schar von Lieferwagen derselben Spedition rollt stadteinwärts, der Drucker im Nebenraum erwacht. Obst zur Mittagsstunde, und Schokolade. Atem zählen. Eine Pause für das Karussell.
Mittag, verschoben nicht nur in einer Hinsicht. Systeme, die Eigenleben entwickeln, wenn man sich entscheidet, Bewegungsimpulse zu geben. Selbstbezogene Fehlermeldungen. Und die Grenzen vertrauter Netzwerke. Vorsichtige Schritte über glattes Terrain, zitternd und mit stumpfem Werkzeug in den Händen. Weit weg, in der Straße, versuchen Nachbarskinder die Sommerferien festzuhalten, während bleiche Wolken durch die Leere zwischen den Dächern ziehen und ein unmotivierter Wind gegenüber in den Gardinen zaust. Halb im Tag, weit auf der Flur.
Die richtige Wärme spürt man erst, wenn man Schatten und Wind verlässt. Für einen Augenblick fühlt sich der Asphalt klebrig an, aber vielleicht spielt hier auch nur eine überhitzte Wahrnehmung ihre Streiche. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens sind die Selbstzahlerterminals wieder sichtbarer, das Schild, das über den fortdauernden Defekt informiert, wurde erneuert, sachlich, subtil anklagend, und es drängt sich die Frage auf, ob die Maschinen sich durch solche Bloßstellung beeindrucken lassen. Eine junge, schwer tätowierte Frau wirft Flaschen in den Pfandautomaten, und in jedem Griff rutschen die Tattoos etwas weiter mit den Ärmeln ihres Shirts nach oben, legen blasse Haut frei und geben den eigenen Gedanken Aufgaben, ein weiteres Mal die eigenen Sinne zu hinterfragen. Schließlich: Schatten der Höfe. Kein Wort. Nur Baum und Himmel.
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Und dann Mittag, als willkürliche Festlegung an einem Tag, dessen Anbeginn und Verlauf eigenen Zeitvorstellungen genügt. Die Schatten ändern ihre Richtung, in der Straße brüllt ein Rasenmäher, nebenan lässt der Paketbote eine große Kiste auf den Bordstein fallen. Ausstehende Termine, Benachrichtigungen über mehrere Kanäle, und grob strukturierte Protokolle entlang fein getakteter Abläufe. Knäckebrot, Wasser, Banane - und der Abstand zu den rennenden Stunden wird nie größer als eine Armeslänge.