Irgendwann kühlte es ab, zog Regen über die Stadt, weitestgehend unbemerkt von den Schlafenden. Feuchte Steine im Hof, gelegentlich verstohlenes Tropfen, zwischen den Bäumen hängt ein Hauch Wald und Erde. Ostwärts spukt heftiges Wetterleuchten durch noch tiefste Nacht. Venus scheint matt im Schleier fliehender Wolken. Schwarz und still ruht die Linie alter Dächer, keine Krähen, keine Katzen. Intensiver Zauber früher Stunden, lang vor erstem Kaffee, ersten Worten, erstem Licht. Habt es mild heute!
Wochenmitte. Unter dem Spiegel plätschert nur ein dünner Wasserstrahl ins Becken und fasst damit den Schwung des frühen Morgens recht gut zusammen. Hinter beschlagenen Fenstern ziehen Farben des Tages über die östlichen Dächer, eine einzelne Wespe sucht ihren Weg in die Freiheit, durch die Nachbarschaft hallt das durchdringende Piepen eines einparkenden Transporters. Krümelkaffee, Radio-Nachrichten ohne Anknüpfungspunkte, noch ist alles zu hell und zu laut. Jetzt also: Tasche packen. Kleidung suchen. Auf die Straße, und den Kopf in die klare, kalte Luft bringen. Der Rest wird sich sicher später finden. Habt es mild heute!
Straßenbahnmorgen. Schwere Anpassung an wieder anderen Rhythmus, Haltepunkte, Wartezustände. Diffuses Licht hinter beschlagenen Fenstern. Zwei Jungs mit einem viel zu lauten Smartphone, irgendeine Stimme plappert zu flimmernden Bildern in den fast leeren Zug. Der Kopf wildert ohnehin schon seit den letzten Momenten der Nacht im Kalenderplan, hat nicht wirklich abgelassen vom Gestrigen, versucht sich irgendwie geordnet im Heute wiederzufinden. Dann: Schritte in klammen Schuhen auf den Teppichfluren, die ersten Worte der eigenen Stimme klingen kratzig und unsicher. Irgendwie da, und trotzdem noch fern. Erster Kaffee wirkte nicht viel, vielleicht wird es der zweite richten. Habt es mild heute!