Früher Tag, üblicher Morgen: Krümelkaffee mental zwischen Tür und Angel. Der Leuchter auf dem Küchentisch trägt seine Kerzen schief, dahinter stehen noch Plätzchen und Gebäck vom Weihnachtstag in Dosen und Tüten. Radio als Tonspur, gesprochene Worte verklingen unverstanden, unverarbeitet. Augenreibender, ungläubiger Blick auf das Datum. Und dann: Nachdenken, wo Heute beginnt. Welche der losen Enden heute mit auf den Plan müssen. Und welche in der Schublade ruhen dürfen, oder im Keller. Immer noch irgendwie Zwischenzeit, nur halb im Takt. Habt es mild heute.
Erwachen hinter offenen Fenstern. Der Duft von Weihnachtstauwetter liegt über allem, ohne dass es vorher Schnee gegeben hätte. In den Höfen singt, raschelt, klappert alles, was sich dem böigen Wind zugänglich zeigt. Darüber hinaus hallt das Stille der Nacht immer noch nach in den leeren Straßen. Heute blieben alle Lichter erleuchtet, der neue Tag lässt das Fortschreiten aller Zeit einschließlich der eigenen wieder sehr nah kommen, aber im frühen ungetrübten Glanz lebt auch eine alte ursprüngliche Faszination, die dem Moment etwas Besonderes, Intensives verleiht, einen berührt und erdet. (Habt einen glücklichen und friedvollen Weihnachtstag, ganz gleich, wie Ihr ihn verbringt und was er für Euch bedeutet.)
Manchmal ist der Morgen auch eine schlecht aufgeräumte Küche, eine Tasse kalten Tees und Geschirr, das in der Spüle verblieb, weil die Nacht zuvor lang andauerte und irgendwann schnell in Finsternis verschwand. Linkische Dehnübungen in dunklen Fluren. Gelegentliches Knacken. Nicht nur die Mechanismen des Selbst sind noch in obskuren Ruhestellungen und Schonhaltungen eingerastet. (Unten singt eine fern und teilnahmslos wirkende Stimme längst wieder Kinderlieder, heute mit weihnachtlichem Einschlag. Es regnet nicht mehr, trotzdem gluckert noch Wasser in den Rinnen vor dem Dach. Dazu Kaffee. Etwas Brot. Und die richtige Menge an Zeit für den frühen Samstag. Habt ihn mild.)
Der Morgen bringt schmutziges Licht und mehr Wind. Regentropfen auf den Scheiben, es knarrt und klappert in und über der Fassade, unten kämpft ein früher Passant gegen die missmutigen Böen. Wieder ist keine richtige Wärme in diesen Räume zu schaffen, also helfen Kerzen und der erste Kaffee, in abgestandener stickiger Luft. Normale Rituale, trotzdem etwas anders als sonst: Voller Plan, aber wenig Termine in diesen Stunden. Sich ausdünnende Anwesenheitslisten. Urlaubsbenachrichtigungen fluten alle Eingänge, auch in diesem Jahr dominiert Faulheit über den Wunsch, sich einen Filter für derlei Kommunikation einzurichten: Versuch einer Trennung zwischen Nervigem und Wichtigem. Mit ungewissem Erfolg. Habt es mild heute!
Nochmal Büromorgen. Bekanntes Umfeld, bekannte Probleme: Entweder viel zu hell oder viel zu dunkel. Frühe Selbst-Findung im Schimmer von Monitoren, Ahnungen einer Tasse vom Vortag auf dem Schreibtisch, und ein größerer Stapel von Notizen, deren Wichtigkeit für heute sehr zu hinterfragen ist. Jenseits des Hofes, zwei Etagen tiefer, räumen fleißige Hände im großen Besprechungsraum die Reste der gestrigen Weihnachtsfeier in schwarze und blaue Säcke. Ein Computer hängt im Anmeldebildschirm fest, zwei dunkle Silhouetten begegnen einander in einer anderen Küche. Novemberregenstadthimmel, die nächste Straßenbahn rattert durch nasse Weichen, Sonne und Schnee könnten nicht ferner sein. (Musik abstellen. Posteingang systematisieren. Zweiter Kaffee. Unwuchten im eigenen Rundlauf ausgleichen, damit der Tag rollen kann. Habt es mild heute!)