Selbstwerdung am Sonntagmorgen. Träume aus dem Augenwinkel wischen. Die Stadt hinter den Wänden erahnen, erfühlen, als gegenwärtig annehmen. Viel Hoffnung in der frühen Stunde. Kaffee, Weißbrot, Obst. Gegenüber führt ein großer Hund zwei Kinder zum Bäcker. Die Krähen beobachten, die Sonne malt Linien und Formen auf nachtschlafene Fassaden. Immer wieder hier, über den Bürgersteigen, eine Armeslänge vom wolkenlosen Himmel. Etwas Leerlauf, bevor die Hitze wieder auf die Seele drückt. Habt es mild heute. 

Morgen, als der Duft lauwarmer Höfe und Dächer, der Klang von Stimmen hinter offenen Balkontüren, das geschäftige Klappern erwachender Küchen. Irgendwo plappert schon ein Fernsehprogramm, ein Kühlschrank wird geschlossen, ein Wasserkessel rauscht. Unten passieren Jogger in Sportkleidung angestrengt die noch dem Zwielicht gehörende Kreuzung, verschwinden dort, wo die Wege die Häuser umrunden und in Park und Wiesen aufgehen. Das Bedürfnis, sich der eigenen, drängenden Routine zu beugen, diskutiert mit dem Wunsch, später und planloser als sonst dem Sonntag zu begegnen, und wer gewinnt, ist eigentlich von Anfang an klar. Habt es mild heute. 

Einige Augenblicke weiter nur beginnt neuer Morgen. Dusche und verhaltener Gesang unter dem Fußboden, ein Taubenschwarm im Schneefang, teilnahmslose Katze zwei Arnlängen entfernt auf der Couch. Das Wasser zu warm, die knittrige Haut in Form zu bringen; der Spiegel zu klar, das Licht schon viel zu hell. Die Unebenheiten von Allem weit vor dem ersten Kaffee. Habt es mild heute. 

(Aufwachen. Mit einem kurzen Schreck und seinem langen Nachhall, während der Puls in normalen Takt zurückfindet. Manche Gedanken blieben jenseits der Nacht, manche trieben sich in den Höfen und Nachbarschaften der Träume herum, hocken noch unter den Ästen und neben den Mülltonnen im Halbschatten dort, wo sonst die Katzen auf Mäuse und Vögel lauern. Kaffee, neue Packung, alte Tasse, die Signaturen des ehemaligen Büros im Blickfeld und es bleibt im Unklaren, inwieweit dieser Griff beabsichtigt oder zufällig war. Postfächer füllen sich leeren sich, der Morgen wird wieder schneller. Orangenmarmelade auf Knäckebrot. Und dann die Räder wieder zwischen dem Selbst und dem Asphalt, eine trübe Ahnung von Sonne im Rücken und die Betonviertel voraus. Habt es mild heute.)

Schon wieder hier, gewohnte Zeit am gewohnten Ort. Wasserkessel, Weinbeeren, elektronische Post und die ersten Termine nur Armeslänge entfernt. Noch hängt etwas Nacht an den großen Bäumen, noch ist der Schlaf real und der Tag eine bekannte, aber junge Idee. Die Katze liegt im Flur und kritisiert die Welt, mit den Jahren nachdrücklicher und beharrlicher. Und vermutlich ist dem wenig zu entgegnen. Habt es mild heute.