Die kleine Lichterkette auf dem Fensterbrett ruht den ganzen Tag über, damit sie leuchten kann während der Nacht. Manchmal geht ihr beizeiten die Kraft aus, manchmal halten sich die Augen am kleinen Schimmer fest, wenn Traumbilder brechen und plötzliches Erwachen durch die Zimmer treibt. Manchmal reicht das Licht bis in den frühen Morgen, wie eine verstohlene Erinnerung an ein nahes Gestern, sichtbarer, greifbarer als sonst. Auch: Offenes Klavier, aber keine nachhallenden Töne im Gemüt. Linienmuster am Rande beschriebener Seiten, ein Schaltkreis, oder ein Gewirr aus Pflanzen, organisch oder auch nicht. Schwer zu deuten, kaum zu entschlüsseln. (Bus in der Haltestelle, Glocke, schließende Türen. Rauschen des Wasserkessels. Kondensbäche rinnen über Fließen. Halb auf Empfang, noch unsortiert im Jetzt. Habt es mild heute!)    

Was von der Nacht liegenblieb: Ein Origami-Schwan auf faltigem Tischtuch. Ein geöffnetes Buch, Hochglanzfotos und verlorene Orte. Blumen in den Bildern, Blumen im Keramikkrug mit den blauen Ornamenten. Und die schöne Vorstellung, dass Geschichten auch leben durch das Gefühl des schweren Papiers unter den Händen, den Duft von Druck, Farbe und Bindung, die räumliche Begrenztheit im Eigenleben unsortierter Regale. (Abwegigkeiten. Früh, in den Stunden, bevor alles wieder erwacht. Früh, vor dem ersten Kaffee und dem gewohnten Weg. Habt es mild heute!)

Immer wieder ist schnell Morgen. Kurze Dunkelheit, kurze unruhige Träume, und einiges aufgeschrecktes Erwachen später versucht man klar zu werden, letzten hartnäckigen Gespenstern die Tür zu zeigen, im Hier und Jetzt einzuschwingen und sich selbst vor Sonnenaufgang zu ertragen. Erster Kaffee, Heimbürokälte. Kehrmaschine und Müllabfuhr irgendwo im Block, dazu Schlagen und Schleifen von der Baustelle. Viel zu viele Geräusche. Viel Bewegung auf der Kreuzung, während die Treppenhäuser des Viertels noch ruhen. Freitag also: Blöcke stapeln. Bewegliches um Festes herum schieben. Erkenntnisse niederschreiben. Und sich selbst fragen, ob die Woche kurz oder lang war. Habt es mild heute!

Etwas weiter: Immer wieder unterwegs. Beobachtungen von Büropflanzen, die im ersten Obergeschoss neben der Straßenbahn vorbeiziehen, und der Versuch, auf die Menschen dahinter zu schließen - sicher grob daneben. In den matten Scheiben spiegelt sich morgendlicher Berufsverkehr, Augen und Erinnerungen erkennen Gesichter, die altershalber nicht ins Jetzt passen, vor allem auch nicht ins Hier gehören. Und plötzlich erliegt man kurzer Panik, weil die Orientierung über diesen Beobachtungen Strecke und Haltestellen aus dem Blick verloren hat, man sich irgendwo und falsch und zu spät fühlt und zu viele unangenehme Sekunden braucht, wieder mit der Realität in Takt zu kommen. (Dann: Zweiter Kaffee, Büroküche. Noch kein Kalender. Dafür Zeichen naher Sonne, immerhin. Habt es mild heute!)