Viel später. Am Weg aus der bunten lauten Nacht in die stille, dunkle. Laternen zwischen Straßenbäumen, der Duft von Laub in aufziehender Kälte. Übliche Verdächtige sitzen rauchend bei sich leerendem Bier, Kneipentüren werden mit viel Lärm geschlossen, bei Nachbars die Wohnzimmerlampen gedimmt. Die Stadt ist klein und vertraut, aber hinter dem Fluss wird sie immer wieder gewohnter, näher, langsamer. Und manchmal tut das gut, insbesondere in den Stunden abnehmenden Lichts später im Jahr.
Einige Träume weiter wäscht sich der frühe Vogel Müdigkeit und Schlaf aus den Augen, wirft noch einen Löffel mehr Kaffee in die Tasse, heute. Unruhe über den Hinterhöfen, die Räder von Mülltonnen knirschen auf Kies, eine Katze faucht. Gebeute Silhouetten und kleine helle Fenster an der Bushaltestelle. Erste Vorstellungen vom Freitag bleiben vage, erste Handgriffe in der Routine sind holprig und manchmal tritt man einen Schritt zurück und grübelt, warum man tut, was man tut. Spitzfindige Fragen ans Modell, vielleicht weniger auf Antwort hoffend als sich eher fragilen eigenen Überlegenheit dem System gegenüber versichernd. Vorsichtiges Tasten in den Morgen, noch merklich vor den ersten Blicken der Sonne. Habt es mild heute!
Hinter den Stunden kämpft der Supermarkt des geringsten Misstrauens mit relativen Zeitangaben: Die neuen Kollegen des Vorjahres sind jetzt die alten Neuen. Die neuen Neuen wuseln zwischen den Regalen, stolpern über Warenträger und leere Kartons und suchen die richtigen Fächer, die richtigen Schilder, ihr Selbstvertrauen und den Feierabend. Über die Lebkuchen und Spekulatius hinaus steht jetzt auch der Winterhopfen in den Kästen; auf kaltblauen Etiketten tragen Arbeiter in roten Kutten Fässer durch eine verschneite Nacht. Ein mittelalter Herr im abgegriffenen Büro-Anzug lernt den Mindestbetrag für Kartenzahlung, packt dafür kurz entschlossen eine Flasche Korn aufs Band, die verstörten Blicke von Frau und Kind scheinbar übersehend. Dann schließen die Türen, Lichter erlöschen. Kalter Erntemond strahlt über den Flachbau. Der Tag verweht.
Deutlich später: Immer noch Sonne entlang des Planes. Wasser statt Kaffee, weil die Stimme noch kratziger und dünner wird als sonst. Aber Kuchen, zumindest; späte Pause neben der Tastatur, die letzten Ideen systematisieren, bevor sie eine unglückliche Beute des Spätsommerwindes werden. Nebenan klebt ein lustlos wirkender Moderator Wolken und Kreise an die Tafel, unten sitzen Grundschüler mit Blöcken und Stiften am Springbrunnen, zeichnen Wellen, Häuser und Bäume. Schatten kriechen über den Tisch, Bürohund schläft zwischen den Türen, irgendwo lacht jemand. Langsam fließen die Stunden.
Einmal mehr halb durch den Tag: Schatten fangen unter aufbrechenden Himmeln. Auf dem Parkplatz durch erste Laubhaufen schlurfen, den weichen Tritt unter den Füßen spüren. An der Ecke ist ein junger Mann zugange, neue Werbung auf die hochragenden Tafeln zu kleben; im Inneren eines Transporters liegen Stapel von Postern, und mit einem großen Roller an einer Stange verteilt er lustlos und nachlässig Klebstoff auf der Wand. Wie immer grinsen schöne Gesichter aus der Ferne schöner Produktwelten in die Flucht der alternden Straße, ohne Notiz vom Leben davor nehmen zu können. Geschichten von Erwartungshaltungen, von Wünschen, von Schönem und Unnötigem liegen in der Luft, während Arbeiter nebenan die Baustelle beräumen und letzten Müll in den letzten Container werfen. (Manchmal haben auch Montage ein Gespür für Symbolik.)
Abwesend im Mittagslicht: Eigene interne Wertungsversuche - Stunden aus Fragmenten oder lieber Stunden am Stück? Unentschlossen. Der Hausmeister fischt mit einem Netz Zigarettenstummel aus dem Fischteich und den Algen und schimpft. In diesem harten Gegenlicht wirken die grauen Fassaden von unten betrachtet übermächtig und abweisend, ist die weit geöffnete Terrasse, von der das Klirren von Gläsern und freundliches Geplänkel tönen, ein seltsamer Widerspruch, an dem man irgendwie hängenbleibt. Ein paar Schritte laufen, dem Tag Kuchen, dem Kopf frische Luft zu gönnen und die erstarrende Arbeitshaltung loszuwerden. Die nächsten blauen Blöcke des Kalenders warten oben.
Ein Zwinkern weiter, außerhalb der Büroschatten: Später Mittag zwischen den Häusern. Straßenbahn rumpelt durch die nächste Haltestelle, vor dem Supermarkt neben dem Grünstreifen sammeln sich die üblichen Verdächtigen zum Pausenbier. Merkwürdige Diskussionen entstehen, über Politik im Großen und im Kleinen und die verdammenswerte Unfähigkeit aller irgendwie Involvierten, und in manchen Situationen sieht man zu, dass man schnell viel Abstand gewinnt. Das Gerüst vor den Fassaden ist inzwischen bis an die Dachrinne gewachsen, immer wieder klappern Bretter unter den Schritten schwerer Schuhe. Ein ebenso klappriger Aufzug hievt Säcke und Werkzeuge in die Höhe, auch an dessen oberem Ende scheint man gerade Probleme laut lösen zu müssen. Merkwürdige wiederkehrende Muster im Gewebe dieser Wochen. (Immerhin: Pflaumenkuchen und schwarzer Kaffee, aus der schwarzen Tasse. Form wahren, zumindest ein wenig.)
Anderer Morgen, gleiche Räume, gleiches Licht. Erster Krümelkaffee, zwischen Küche und Flur. Kurzes gedankliches Überstreichen der Nacht und ihrer Träume, kurzes Legen einer Linie für heute. Und dann: Wieder unterwegs. Punkte entlang vertrauter Bahnen, an denen man innehält, innehalten muss, die kleinen Veränderungen von Stadt, Welt über Tage hinweg wahrnimmt. Der Rest der Strecke fliegt vorbei als unscharfer Film flüchtiger Eindrücke, in den die Farben eines hellen, wolkendurchzogenen Sonnenaufgangs gewoben sind. Garagenbeton, Flurteppich, öffnende, schließende Türen, das meditative Summen von Maschinen im Halbschlaf. Und Blick über die Brunnen, die geschlossenen und leeren Zimmer. Noch vor allem, vor allen anderen fällt das neue Ankommen leichter. Habt es mild heute!