Später Mittag, und die Böen tanzen unbändig, wild durch Jalousien, Kleiderständer, Regale und Flur. Ölspuren und Sand auf der Straße, nebenan räumen die Arbeiter ihre Baustelle, werfen alle Arten von Schutt in einen riesigen Container und scheinen durchaus Gefallen zu finden am Lärm, der mit dieser Prozedur verbunden ist. Vor der Bürotür der Unternehmensberatung diskutieren einige Angestellte Chancen und Risiken im anorganischen Wachsum und die Wortfetzen, die halb aufmerksame Sinne aufschnappen, könnten fast als Satire durchgehen, wäre der Vortrag der Argumente nicht so ernst. Auch: Kuchen am Montag, zur Kompensation einer gewissen Ratlosigkeit. Milchigweißer Westhimmel und diffuse Schatten über allem.

Nervöses Warten, endlose Schlange. Zeit genommen, Zeit unterschätzt, Vibration des ersten Signals in der Tasche gespürt. Der Kalender schreitet voran; im Supermarkt des geringsten Misstrauens diskutieren die Dame hinter und die Dame vor der Kasse Widrigkeiten des Arbeitsalltags. So etwa Zwischenschicht auf Zuruf am eigentlich freien Tag. Die Marktleiterin huscht vorbei, ebenso schuldbewussten wie hilflosen Ausdruck ins Gesicht geschrieben, und verschwindet hinter einem beständig schreienden Leergutautomaten. Halloween-Spezial: Zierkürbisse. Kostüme. Weiße Geistergummibärchen. Doppelkorn. Letzteren gibt es ganzjährig billig, nur der Anlass für die Rabattierung scheint zu wechseln. (Herbst im Sommer, oder andersherum. Jonglieren mit Terminen und fallenden Blättern. Keine Wolke zwischen hier und dem Horizont.)

Flimmernde Trugbilder über Asphalt, Parkplatz-Ödland. Eine alte Dame mit Krücken müht sich durch schmale Korridore, vorbei an eng geparkten Autos, und dann auf Schlangenlinie um kreuz und quer abgestellte Fahrräder und Anhänger. Konzentriertes Schweigen, kein böses Wort. Hinter den automatischen Türen in klimakalten Gängen versammeln sich erste Weihnachtsmänner neben Batterien von Lebkuchen, ein vornehm gekleidetes junges Pärchen wirkt seltsam deplaziert an diesem Ort, und Ton und Wortwahl ihrer Unterhaltung ringen mit ihrem Äußeren um die Hoheit des bleibenden Eindrucks. (Aus dem jungen wird das alte Personal, das Auszubildende anweist und Stammkunden kennt. Monitore werben für uninteressante Produkte irgendeines gleichermaßen uninteressanten Prominenten, und das Mobilgerät summt vorsichtig um Aufmerksamkeit. Schon auf dem Weg ... schon auf dem Weg.)

Mittagstief. Dem Bürgersteig folgen, Blick auf den Boden geheftet, fast schmelzend in greller Hitze. Vom dritten Obergeschoss über der Kreuzung aus bewacht ein hagerer alter Mann die Nebenstraßen, das Kissen zwischen dem Fensterbrett und seinen Armen deutet auf gewisse Konstanz dieser Tätigkeit hin. Unten versucht eine Mutter die zwei Kinder, die sie im Bollerwagen hinter sich herzieht, in deutlichen Worten zum Stillsitzen zu motivieren, wird lauter jedes Mal, wenn sich das Gefährt anschickt, Haltung zu verlieren und umzufallen. Irgendwann verschwinden alle drei um die Hausecke, die Stimme hallt noch länger über dem weichen dunklen Teer. Zwischenzeiten, Zwischenstunden, es braucht Kuchen vornehmlich für den Geist.

Mittag am mentalen Wegesrand. Die gewohnte Runde um den Block erwägen, dann aber doch die Türe vor sich schließen und die Tasche wieder abstellen. Monitor und Rechner im Energiesparmodus. Wärme zieht wieder durch die Häuserschlucht, Sonne und Zwielicht ordnen ihre Hoheitsgebiete beständig neu. Postbote mit dem Fahrrad, auf schneller Route über den holprigen Gehsteig. Nebenan zwischen den Fugen der Steine recken sich kleine Eichen ins Viertel. Die Kinder der Nachbarn, die dem Hort fernbleiben, trotten ohne Eile heimwärts, manche als lachende, plappernde Grüppchen, manche abwesend und nach innen gekehrt, manche mit Eis vom Eckladen in den Händen. Reste von Sommer an, auf allem, und ein Hauch von Herbst. Früh im September.