Weit hinter dem Tag: Ausrasten, im nach innen gewandten Sinn. Irgendwann ist der Abend erneut in die übliche Haltung gerutscht, in der man viel zu lange verharrt und die spürbar wird, sobald es an ungewohnte Bewegungen geht. Strecken, zur Zimmerdecke, Gähnen mit halb geschlossenen Augen. Wieder ein wenig mehr der eigenen Länge gewinnen, knirschend und knackend. Maschinen formen noch einmal Daten, die Bildschirme schon etwas matter. Vor den Fenstern liegt klare unentschlossene Nacht, sich zwischen Herbst und Winter wähnend, in das milde Leuchten der letzten noch wachen Häuser getaucht. (Nebenan erörtern ernste Stimmen Schwerwiegendes, das jeden Ton färbt, auch wenn die Wand Worte und Bedeutung schluckt. Türen schließen, Räume wechseln, bevor die nahenden Träume gar zu hellhörig werden.)
Und wieder zwei Fuß breit in der Nacht. Entlang des Weges sind die Heizkörper ausgekühlt, flieht mit dem Licht auch die Wärme aus den Stunden. Maschinen zittern nochmal unter Last, rechnen einige kleine Fragmente, bevor technischer, traumloser Schlaf anbefohlen wird. Dann: Begonnenes ablegen, so gut es geht, hoffend, dass bis zum Morgen die instabile Ordnung bestehen bleibt, die ersten Griffe die richtigen Dinge richtig zu fassen bekommen, ohne dass man allzu weit zurückgeworfen wird. (Und dann Lesen in und zwischen den Zeilen, der Geschichte folgen, bis Augen und Bewusstsein sich in ungeschriebenen Worten verheddern und die Abwege immer schwerer zu korrigieren sind. Lernen, wann es Zeit ist, dem Tag seine Ruhe zu geben.)
(Der Abend blieb und bleibt holprig. Manchmal fällt es schwerer, klare Gedanken zu fassen, oder überhaupt an geordnetem Denken festzuhalten. Unten auf der Straße ist es laut, heute. Frauenstimmen telefonieren in einem Auto, hörbar bis weit in die oberen Etagen. Einige Fenster haben sich geöffnet und wieder geschlossen, im Dachgeschoss nebenan werden Kommentare ausgetauscht, man raucht und kichert und übt Selbstbeschränkung bei Ernsthaftigkeit. Die Offenlegung anderer Geschichten, und merkwürdige Überschreitungen von Grenzen, die einen eigentlich gar nicht berühren wollen. Milde Nacht unter unsichtbaren Wolken, unter sternlosem Himmel.)
Gewohnheiten am Rande der Woche: Antworten auf Nachrichten, die eigentlich erst morgen und eigentlich auch irgendwie schon vorgestern relevant sind ... waren. Im Heimbüro ist es kalt, die Grenzen zwischen Lebensaspekten gestalten sich sehr durchlässig dann und wann. Lichter und Sterne jenseits der Kreuzung werfen schockbuntes Licht in die Nacht, irgendwo klingt wieder Musik, diesmal vertraut und warm, aber der genaue Ursprung bleibt im Unbekannten, und das Gehirn mag keinen Titel, keinen Künstler zu den Tönen ordnen. (Vielleicht darf das um diese Stunde auch so sein, so lange die Klänge nur irgendwie berühren. Es gibt wohl unschönere Reaktionen als diese. )
Schließlich bleibt Rückkehr und Treppensteigen, in fortgeschrittener Nacht neben einer ruhigen, entspannten Straße. Der Eingang zur Kneipe liegt wie immer im Kegel grellweißer Scheinwerfer, einige Fenster und Balkone überbieten sich gegenseitig mit Dekoration, Lampions und Lichterketten, und in all dem wirken die Wohnungen dazwischen, die sich all dieser Dinge enthalten, noch stiller, dunkler, irgendwie verlorener. Aber vielleicht täuscht der Eindruck, ist es genau das Unauffällige, Übersehene, hinter dem Plan und Absicht stecken. Freitagabend, die dezembernervöse Stadt wird wieder leiser, nachdem die Busse mit den Tagestouristen und ihren Taschen, Beuteln, Souvenirs wieder abgereist sind und Fuchs und Hase die leeren, nur in den Ecken noch schneebedeckten Betonplätze überqueren. (Jedem den Traum, den er sich am sehnlichsten wünscht, so kurz vor dem Wochenende.)
Schließlich wieder: Nacht unter Wolken, kein Mond, aber wieder mehr warme Sterne von hier bis zum Horizont der Dächer und dem dunklen Ende der Straße. Fußweg und Kreuzung schimmern eisig, stadtfarben und vor der Kneipe im gewohnten Neonblau. Feine Krümel treiben mit dem Wind. Der Abend tut einiges, die Menschen auf Abstand hinter ihren Türen und in ihren kleinen Welten zu halten. Also bleibt der halbleere Pott Tee auf der Heizung, bleiben Gedanken und Hände im Fluss dessen, was sie seit dem Morgen schon getan haben, findet Logik ihre Form und Struktur dort, wo in kurzen Tagen Bilder und Worte einförmig und knapp werden, so lang der Fokus noch hält, die Idee von Schlaf sich noch nicht gut anfühlt. (Zeit, der Dunkelheit und dem Morgen abgerungen, zumindest für den Augenblick.)
Im fortschreitenden Abend merkt man, dass man doch nicht von den Routinen lassen kann: Mails und Aufgaben, Termin-Tetris und dunkelblaue Blöcke ohne Beschreibung. Es scheint, irgendetwas in einem will auf den letzten Metern noch das aufholen, was im bisherigen Verlauf des Heute keine Beachtung erfuhr, nochmal all das in der Hand haben, was heute durch das Raster von Aufmerksamkeit und Priorität gerutscht ist. Die Katze schläft währenddessen auf der Couch, demonstrativ den Rücken zuwendend. Stumme Ansprache, und eine Nachricht, deren Verständlichkeit wenig zu wünschen übrig läßt. Gegenüber werden die Lichterketten an den Balkonen bunter und blinkender, eine Zigarette glimmt in halboffener Glastür, Raum und Gesicht dahinter bleiben dunkel. (Für kurze Momente bleibt der unangenehme Eindruck, Blicke auf sich ruhen zu spüren. Dann klappert ein Schlüsselbund im Treppenhaus, eine Wohnung wird geöffnet, der Fokus gleitet ab. Nacht hinter und vor den Fenstern.)
Fortgeschrittener Abend und noch immer in der Schleife. Nicht von den offenen Dingen lassen können, nicht von den offenen Dingen losgelassen werden. Strukturen brachen, in den verbleibenden Teilen finden sich keine geeigneten Formen, die besser tragen würden. In den verbleibenden Teilen verändert sich das große Ganze grundlegend, sobald man nur ein einziges Fragment verschiebt. Mikado-Stäbchen fallen vor dem inneren Auge, und man versucht, im Trüben die Farben ihrer Ringe zu erkennen. (Neben der Kneipe parkt ein Auto aus, Nachbars Hund bellt erschrocken. Einzelne Sterne, ein blinkendes Flugzeug weit oben, der Himmel dunkelblau, die Wolken davor fast weiß. Klar die Luft, müde auch diese Nacht.)