(Tage, an denen man die Welt neu bauen möchte. Aber dann doch zufrieden damit ist, Leergut zum Automaten getragen zu haben. Der junge Mann hinter der Kasse ist freundlich, doch irgendetwas in seiner Freundlichkeit verstört genau so subtil wie die Tattoos auf seinen Armen. Und der ausgezahlte Betrag reicht auch diesmal nicht für das Haus in den Bergen. Neben dem Parkplatz haben die Senioren des Viertels die Einkaufswägen wieder ordnungsgemäß aufgereiht und verkettet, ein Rudel Schüler verbringt den Mittag mit Energy-Drinks und Sandwiches aus der Folie. Immer noch keine Sonne, aber das Grau wirkt etwas leichter. Gedanken noch halb in Konzepten. Und immer viel mehr Dinge vergessen, als einem lieb ist.)
Bürohund und sein Adjutant verschwinden in flottem Schritt aus dem Treppenhaus, dorthin, wo Bäume die Kreuzung einfassen. Der schmale Streifen, der die Gebäude von Stadtrandwelt und Gewerbehallen trennt, wirkt staubig und trocken, trotzdem finden sich noch Grashüpfer und Grillen im warmen Dickicht auf dem Dreck. Von einer Plakatwand hat jemand ein großformatiges Werbeposter gerissen, einige Fetzen hängen noch halb auf ihrem Leim, andere haben Wind und Nacht in weiterem Radius verteilt. Ein blasser Junge fährt mit fragil wirkendem Roller über den holprigen Weg. Deutscher Rap aus kratzigen Boxen, zornig und ein skurriler Kontrast zur sonstigen Erscheinung des Heranwachsenden. (Von Selbstfindung und Fremdscham, auch gegenüber eigenen Erinnerungen. Dazu Pflaumenkuchen. Dann nimmt der Wind zu und die Augenblicke verlieren sich.)
Warteschlange am Bäcker, Versuchte Mittagsleere. Geruch von Allzweckreiniger und Sonnencreme treibt durch die kühle Filiale. Bürogesichter hinter dunklen Brillen treffen auf Anwohner und Handwerker, aber man lebt nebeneinander, hier wie überall. Gelegentlich verheddern sich die Sinne in halblauten Diskussionen, und die resignierte Hilflosigkeit, die an jeder verbitterten Silbe klebt, schneidet mehr als all der pauschale Frust. Schnittstellenprobleme, semantische Brüche. Wahrnehmungsdefizite. Fremde Ängste eigene Ängste und ein Schwarm Wespen über der Kuchenauslage, während nochmal brütender Sommer auf das Flachdach drückt.
Mittagspausenleere: Zimmer wechseln, um einen Kantinenbesuch zu simulieren. Brotteig-Experimente, und sei es zum Sammeln von Erfahrungen. Skeptisch dem Aggregat des Kühlschranks lauschen, dann neben klingelndem Telefon den Kontext verlieren. Die Paketboten laufen in der Schlucht des Viertels ihre Runden, treffen niemanden an, kehren schwer beladen zurück zu ihren Transportern, die hintereinander in zweiter Reihe parken. Verschiedene Schichten von Grau, diffuses Licht, und wieder erwachter Wind. Alles duftet nach Frühling und Wiesen, auch wenn sich beide gerade sehr wenig zeigen mag.
(Mittag, Hinterhof. Im ersten Obergeschoss hängt jemand Babykleidung auf einen Wäscheständer. Nebenan sammeln sich leere Bierflaschen vor dem Balkongitter, etwas weiter unten sortieren die Nachbarn alte Kartons und große weiße Styroporteile in die Abfalltonnen. Die Sonne hatte ihr kurzes Gastspiel im Geviert, Luft blieb davon so warm, dass man unter der Kleidung schwitzt. Bienen spielen durch flaches Grün, der Moment duftet nach Wiese, Blüten und Gras, und kurz hält sich alles Fühlen und Denken daran fest, bevor ein Telefon klingelt, die Haustür quietscht und man sich der nächsten wartenden Schritte erinnert.)
Sonne, jetzt: Für den Mittag. Mohnkuchen, wieder geschlossene Nachrichtenseiten und ein Seufzen, leise genug, die Kollegen nicht aufzuschrecken. Und den Bürohund, der nebenan hinter der offenen Tür döst. Notizen zu Ungeplantem abheften, mindestens im übertragenen Sinne, und den Blick wieder zu Geplantem zurückführen. Immer genügend Meilensteine auf Sicht, nur manchmal hinter Kurven, Bergen oder entlang anderer Straßen. Ebenfalls vermutlich nur im übertragenen Sinne. (Unten fegt der Hausmeister in dicker Kleidung Streusand aus den Resten von Schnee. Unerschrockene Büro-Insassen sitzen auf kalten Steinen und löffeln Suppe aus Pappbechern. Die Schatten sind schon wieder sehr lang.)
(Im Nebenzimmer wird laut über Code und Fehler diskutiert, aber nur eine Stimme trägt vor - und man erinnert sich, dass einer der beiden Kollegen heute Urlaub hat. Dann formen sich solche Momente, in denen der Kopf kurz Luft braucht, und irgendwann steht man in unentschlossen kühlem Sonnenwetter auf leerer Straße, hat einen Windhauch im Gesicht, der nach Reise und Ferne und Norditalien duftet, und muss kurz durchatmen, um Zeit und Ort wieder übereinander zu bekommen. Am Eck wird der Rest des Gerüstes abgebaut, ein gut gelaunter Hausmeister kratzt bunte Aufkleber von den Briefkästen neben dem Haupteingang, wie einmal jede Woche, aber einen Tag früher als sonst. Pflaumenkuchen und Mittagsstimmung unter immer noch weißem Stadthimmel.)
Früher Nachmittag, unter Sonne und Wind und mit Steinen im Schuh. Entlang des Weges zieht ein älterer mürrischer Herr seinen Wocheneinkauf in einem vollen Wagen über den Schotter und schimpft heftig auf die Welt im Allgemeinen. Vor einem abgegriffen wirkenden Supermarkt treffen sich Teenager zu Energy-Drinks und Dosenbier, auf dem Parkbeton zirkuliert mehr Verkehr als an anderen Tagen, es wird mehr rangiert, mehr gestikuliert, mehr gehupt. Eine gewisse Anspannung liegt über und in allem, aber zumindest hat der Mittag Pflaumenkuchen, und damit lässt sich vorerst arbeiten.