Mittag nebenan. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens verladen die Praktikanten schwungweise neue Tulpen in große Eimer und diskutieren über die Frage, ob die besser im Wasser stehen sollten. Die Kostüme und Girlanden sind mittlerweile aus dem Eingangsbereich verschwunden, jetzt werden die obligatorischen reduzierten Kornflaschen umrahmt von Folienkücken und merkwürdig anmutenden Osterhasen. An der Kasse trifft dann die ältere Nachbarin, die nur einkaufen geht, um mit jemandem zu reden, auf den Anzugträger, der nur kommuniziert, um sich reden zu hören, und die Businessdame mit dem Ledermäppchen, die, wartend hinter allen anderen, ihrer Ungeduld immer wieder durch deutliches scharfes Ausatmen Wahrnehmbarkeit gibt. (Es ist unglaublich, wie große Beträge sich nur mit kleinen Cent-Münzen bezahlen lassen. Der Leergut-Automat brüllt um Hilfe. Eine Gruppe von Schülern quillt durch die Ladentür, und zäh und träge fließt die Stunde weiter.)
Pausenmodus, kurzes Standby, wie im Parkverbot mit laufendem Motor und Fuß nur vorsichtig auf dem Asphalt. Der Freitag versucht auszuloten, wieviel Helligkeit ein dicht bedeckter Himmel zuzulassen gewillt ist. Nebenan tragen die Nachbarn alte Schulbücher und verstaubtes Spielzeug auf den Bürgersteig, die Geschenkebox zu befüllen. Der Supermarkt des geringsten Misstrauens und seine Neonkälte als kurzes Tauchen durch Anderswelt. Wartende Meditation, während man weiter vorn in der Schlange centgenau bezahlen möchte und die erforderlichen Münzen sorgsam und ohne Eile zusammensucht. (Auch: Wohl erstmals bewusst wahrnehmen, dass auch Feuerzeuge, Strumpfhosen und Tulpenhändler Präsenzen in sozialen Netzwerken betreiben. Und die Erkenntnis für jetzt unter "Aha" ablegen, um sich die geistigen Takte für Wichtigeres zu sparen. Dann werden die Schritte schneller. Plan schaltet weiter.)
Irgendwann konvergieren verschiedene Handlungsverläufe in einem Punkt, an dem als Synchronisationsereignis der Rechner abstürzt und einiges an Angerissenem mit sich nimmt. Dann braucht es kurzen Abstand, in den der Supermarkt des geringsten Misstrauens sein Neonlicht gießt. Die Flure und Regale sehen nach vor kurzem durchlebter Inventur aus, dafür füllen sich die Aufsteller im Eingangsbereich langsam mit Tulpen, Faschings-Accessoires und verhaltenen Anzeichen von Ostern. Ein wichtiger junger Mann telefoniert viel zu laut, die Musik aus den verborgenen Lautsprechern hat gewechselt, im Rahmen von anders, nicht von besser. Aber immerhin. (Hohe weiße Wolken, danach, über dem Parkplatz, kalter Asphalt unter den Sohlen. Gedankliches und räumliches Hüpfen von Ort zu Ort. Plötzliche Eile, weil die Erinnerung wichtige Details nach oben spült, die sonst verlorengehen könnten. Und: Hoffen, den Einstieg noch einmal zu finden, heute. Noch hat der Tag Zeit.)
Zwischen den Häusern, zwischen den Stunden. Es regnet. Gelegentlich fühlen sich die Schritte weich und leise an, dann findet man letzte dunkelbraune Haufen nassen Laubs, wieder freigelegt vom geschmolzenen Schnee. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens wird im Kassenbereich gebaut, nur ein Band ist frei, die Schlange lang wie selten, und es zeigt sich: Rücksichtslose Arroganz kennt kein Alter, kein Geschlecht, keine soziale Gruppen. Der junge Kassierer reagiert zunehmend genervt auf jede Frage, warum denn alles so lang dauert. Weiter hinten wird über die Raucher und Trinker geschimpft, weil im Gang Wägen mit Zigaretten und Fusel stehen und irgendwer wohl dort die Ursache des Wartens ausgemacht hat. (Und ja, dort, wo ehedem Süßigkeiten Kinder am Ausgang fangen sollten, werden die Warenträger größer, die Flaschen kleiner, die Getränke hochprozentiger, vis-a-vis der Auslagen mit Boulevard-Magazinen und Tagespresse. Vielleicht gibt es ja verborgene Zusammenhänge.)
Dann: Vorabend am Fluss. Von den Häusern her treibt rauhe Luft voller Eis und Kohlenrauch über die Wiesen. Schmutziges Weiß, alter Sandstein, rostrote Laternen, für den Augenblick lebt ein Gefühl ferner Tage auf, ein Gefühl von Stadt, das man nur von den Fotos und Geschichten kennt, in dem Männer gezwirbelte Schnurrbärte und abgewetzte Anzüge mit Weste tragen und irgendwie immer Winter herrscht. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens durchmischt sich das Personal, jene, die schon seit Ewigkeiten hier arbeiten und stets entspannt blieben, treffen auf die Zornigen, Unzufriedenen, die verschwunden sein werden, sobald sich Gelegenheit bietet, und die freundlichen Resignierten, denen man das Unwohlsein in der Situation genau so anfühlt wie das Unvermögen zu Anderem in diesem Abschnitt ihrer Leben. Aber vielleicht überzeichnet man auch Eindrücke, in den Farben, die die eigenen Gedanken, die eigene gelegentliche Schwere mehr oder weniger trüb auf die Fasern dieser Zeit malt. Und so bleibt man auch freundlich mit allen, erwartet wenig dafür, packt seine Kartons und Tüten in den alten Rucksack und zieht wieder hinaus, in den alten kalten Winter.