Immer zu spät für das Gewissen, immer zu früh für die Seele: Von den nächtlichen Träumen ablassen. Fenster weit öffnen, das Abgestandene, Gestrige hinaus in die Welt zwischen Park und Fluss zu scheuchen. Gesicht unter kaltes Wasser halten, bis die Sicht auf die Dinge wieder klarer wird. Selbst heute klingelt irgendwo ein Wecker, fallen Autotüren ins Schloss, klappert Geschirr in erwachenden Küchen. Seltsames Gefühl, den Kragen hochzuschlagen in einer Dämmerung, deren Kälte nicht den Erwartungen, Befürchtungen entspricht. Vorsichtige Schritte, fast verstohlen, wie um niemanden zu wecken, oder um selbst nicht gehört zu werden. Noch nicht wirklich bereit für Aufeinandertreffen, für Berührung mit fremden Gedanken. All das darf noch werden. Später. Wenn die Zeit reif ist. Habt es mild heute!
(Etwas weiter am Rande der Dämmerung. Schwere Nacht liegt noch träge in den Höfen, der neue Tag sucht passende Kleidung und Geisteshaltung. Noch kein Blick nach draußen, die Geräusche suggerieren Regen, aber für den Moment ist alles innerhalb dieser Räume, innerhalb des übernächtigten Selbsts mehr als genug, das Bewusstsein komplett auszufüllen. Sonntagsrituale, das Wasser kalt wie immer, aber bessere Schuhe für erste Schritte ins Viertel. Es muss Unterschiede geben, und sei es in unwichtigen Details und nur für sich. Wieviel Welt ist ohnehin echt vor dem ersten Kaffee? Habt es mild heute...)
(Wenn die Nacht bricht, verfängt man sich zu schwieriger Zeit in den eigenen Unzulänglichkeiten und findet lang keine Antworten. Irgendwann formen sich dann vertraute Konturen vor den Augen, ein unsicherer grauer Morgen schiebt sich über die Stadt. Sonntag also. Erst einmal wach werden. Kaltes Wasser, Kaffee, einige Atemzüge am offenen Fenster. Strecken. Gähnen. Hoffen auf Sonne, während Glocken das Viertel zur Kirche rufen. Habt den Tag mild.)
Der neue Morgen: Zu spät für die innere Uhr, trotzdem ist die nähere Umgebung noch nicht wach. Im Aufstehen kurz innehalten und die Augen schließen, einem Anflug von Schwindel begegnend. Und dann wieder einmal bewusst die Bilder an den Wänden wahrnehmend, vom fernen Beginn der bewussten Gegenwart. Mit Erinnerungen spielen, lang vergessene Stimmungen nochmal durchleben. Es braucht dann Sonne und Kaffee gegen indifferente Schatten, die so gern über Berührungen verflogener Jahre liegen. Also: Nacht aus dem Gesicht waschen. Die Haare in Form streichen. Mit sich selbst klarkommen, bevor man sich dem Sonntag zumuten will. Habt es ruhig heute!