Umwege in aufkommendem Sturm. Auf zwei Rädern jede rote Ampel knapp verpasst, und irgendwie ist der Schwung so fordernd, dass man nicht einfach entlang der Strecke anhält und pausiert, wenn man sich danach fühlt. Staub im Auge, etwas außer Atem, verschwitzt und Gänsehaut auf den Armen. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens sind die Kassen blockiert; es herrscht Dissenz bezüglich der geltenden Preise, Mobilgeräte werden gezückt, Codes und Coupons verglichen und nie fehlt jemand, der genau so leidenschaftlich wie unreflektiert auf Technik und Menschen schimpft. Die streikenden Selbstzahlerterminals verharren hinter ihrer Regalwand voller Halloween-Kitsch und stark alkoholischen Mischgetränken; man glaubt sie leise kichern zu hören.
Plattentektonik, aber als gesellschaftliches Phänomen. Am Wagenpark neben dem Supermarkt des geringsten Misstrauens steht eine Horde junger Kerle, die über Alltag und Unlust debattiert und Starkbier trinkt. Die Sammlung leerer Flaschen um ihre Füße lässt eine gewisse Kontinuität erahnen. Heiße Sonne auf Blech, Glas, Asphalt, Köpfen. Daneben die Eisekälte von Neonfluren. Seit langem wieder einmal sieht man das Schild durch die aufgetürmten Regale, dass dem schnellen Alltag ein trotziges DEFEKT entgegenwirft. Die Automaten streiken vermutlich immer noch, aber kaum jemand nimmt Notiz. Im Kassenbereich verdichten sich die Weihnachtsangebote, und bei der Verteilung von Aufmerksamkeit gilt es Prioritäten zu setzen. Viel zu laut, viel zu schnell, und zwischen den Punkten wieder viel zu warm.
Auch: Kunst, die entsteht aus zerbrochenen Farbeimern in der Kreuzung, Reifen, Schuhen. Unvollständige Listen ohne Notizen, Herbstfrüchte und Kleinigkeiten. Zu früh im Jahr für Lebkuchen, zu früh im Tag für preisgesenktes Starkbier. Musik und Personal haben gewechselt, die Fragen nach Rabattkarten werden drängender und der Supermarkt des geringsten Misstrauens fühlt sich fremder als gewohnt an.
Mittag inmitten von Rollen und Terminen: Korrektur des eigenen Flüssigkeitshaushaltes. Mit beherrschbarem Erfolg. Viel zu lang die Schlange im Supermarkt des geringsten Misstrauens, der neue Kollege hinter der Kasse wirkt betagt und würdevoll und lässt sich in keiner Form treiben. Eine noch ältere Dame, resoluten Schrittes, drängt sich an die dritte Stelle der Wartenden, überhört verschieden lautes Murren geflissentlich, um dann verschiedene Knöpfe zu drücken, sehr hörbar auf die Welt im Allgemeinen und den leeren Zigarettenautomaten im Besonderen zu schimpfen und unverrichteter Dinge ihrer Wege zu gehen. Kein Staunen, keine weitere Reaktion. Zwischen Beton und frühem Herbstwind trägt jeder sein Päckchen Wunderlichkeit mit sich.
Und dann Regen. Schlagartig, durchdringend. Eine Gruppe von Nachbarn flieht in den Supermarkt des geringsten Mißtrauens, vor der großen Tür schlagen die Tropfen kleine Blasen auf stehender Pfütze. Unstete Wellenbilder, verzerrte Reflektionen, Sinnieren über lang zurückliegende Schuljahre, Physik, Schwingungen. Amplitudenberge, Krümel von Blättern tragend. Und dahinter leere Korridore, volle Regale, die Packungsdichte hochprozentiger Drinks im Kassenbereich nimmt zu. Seltsame Gespräche ausfiltern, in den notwendigen Interaktionen alle Freundlichkeit zusammenkratzen, zu der der Freitag imstande ist. Und wieder schneller Ortswechsel, durch die Reihen parkender Boten und eine Kindergartengruppe in Gummistiefeln. Stundenglocken. Mittagsruhe. Nur nicht schlafen.