Mittagsschwere, weißer Himmel. Das Getriebe hinter den Schläfen dreht noch, zu schnell und in zu viele Richtungen gleichzeitig. Orte verändern, um Bilder zu verändern. Treppen unter den Füßen, gegen den Teil der Kälte, der aus reglosem Verweilen in immer derselben Pose erwächst. Wareneingang im Supermarkt des geringsten Misstrauens. Angespannte Hektik zwischen Regalen und Paletten, der Druck wird stets größer, wenn man den Raum einschränkt. Zwei junge Frauen in der Warteschlange diskutieren die Vorzüge der verschiedenen Rabattkarten und der Prämien, die an ihrem Konsum hängen. Kürbisse und Fledermäuse haben sich in die Auslage mit Lebkuchen und Spekulatius verirrt, und dieses Zusammentreffen scheint das Gefühl eigener temporaler Unsicherheiten noch zu befeuern. Pfannkuchen für den Kaffee, dagegen oder deswegen. Keine Sonne über den Dächern. 

Etwas weiter. Ein Schwarm Tauben auf dem Fußweg, die Nachbarskinder füttern immer noch vom Balkon aus. Man wird argwöhnisch gemustert, weicht respektvoll aus, findet sich zurecht. Auch: Kleidung zu dünn zu dick, mit Schatten und Wind kriecht Gänsehaut über die Beine, während der zahllosen Wolkenlücken der Sommer noch einmal unter Jacke und Kapuze. Supermarkt des geringsten Misstrauens, volle Paletten in den Gängen, leere Regale und Kühltruhen, kaum Bedienstete zwischen der wenigen Kunden und irgendwie scheint der Montag nicht richtig seinen Schwung zu finden. Unaufmerksam, nervös, ohne Termine zu hektisch, die Hälfte vergessend, zurückrennend, mit dünnen Schuhen durch tiefe Pfützen tauchend. Kurze Pause, aber immer nur halb.

Mittagswege, Supermarkt des geringsten Misstrauens, die Kräfte des Hellen und des Dunklen. Hier: Jene, die die Einkaufswagenreihen ausklinken für alle, denen es an Münzen fehlt. Und jene, die diese Befreiung wieder und wieder rückgängig machen, weil die Dinge schließlich ihre Ordnung haben müssen. Vollgestellte Gänge, ein Durcheinander an Neuangeliefertem und Überflüssigem, und immer eine Handvoll Menschen mit einer Handvoll Sachen, hektisch in den kurzen Pausenzeiten vollgepackter Wochen. (Manchmal lässt man Wartende in der Kassenschlange vor. Manchmal wird man selbst vorgelassen und fühlt sich unweigerlich hilflos in der Annahme, damit die Verpflichtung zu irgendeiner Gefälligkeit auf sich geladen zu haben, die einen zu unpassender Gelegenheit wieder ereilt. Schlechte Presse und hochprozentige Mischgetränke in unmittelbarer Reichweite. Vielleicht waren die Schokoriegel-Auslagen doch die bessere Wahl. Damals.)

Der Tag ist Geschwindigkeit, Umplanen, Beginnen und Zurücklegen von Aufgaben. Notizen im Viertelstundentakt, Themenwechsel wenig langsamer. Als schiebe man ein Gebirge vor sich her, Steinchen um Steinchen. Bildertausch zur Mittagspause, Frieren im Supermarkt des geringsten Misstrauens. Man braucht nicht viel, kauft nicht viel, zahlt mechanisch, weicht Kommunikation und Kontakten aus, weil gerade Themen und Kondition für Austausch am Wegesrand fehlen. (Manchmal erinnert man sich noch an die Zeit, als die Fläche eine von morschen Zäunen umschlossene Brache war und ebenso morsche hölzerne Schuppen trug. Und dann fällt auf, dass die Kinder von damals hier seit Jahren zur Stammbelegschaft gehören und hat einige der gewohnten Fragen wieder in der Hand. Bis man merkt, dass es noch nicht geregnet hat - und auch dieser Nachmittag wieder drückend heiß ist.)

Der Mittag verläuft sich in den Straßen. Irgendwo sind Handwerker zugange, Lärm und Vibrationen legen nahe, dass sie an nichts anderem sägen und bohren als den Streben, die die Stadtwelt zusammenhalten. Dann Supermarkt des geringsten Misstrauens, Limonade, Brot, der Versuch, Gewohnheiten zu ändern. Und der Unterschied dazwischen, sich schlecht rasiert zu fühlen, und schlecht rasiert zu sein. Zudem bekanntes Personal in anderer Zusammensetzung und man lernt, dass manche Teams besser und andere schlechter harmonieren. Im Eingang wiegt eine junge Mutter ihr schlafendes Kind in den Armen, weit genug weg von der Hitze des Betons und der Kälte der Gänge. Ein Montag, irgendwo inmitten von Terminen.

Halber Tag, zu viele geöffnete und halbfertige Dokumente, und langsam verschwindender Überblick über die Dinge und ihren jeweiligen Zustand. Straße unter den Füßen, für ein paar Minuten. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens herrscht der übliche Stoßbetrieb, der keinen klaren Regeln zu folgen scheint und trotzdem immer wieder ein Schwingen zwischen heillos überfüllten Kassen und leeren Fluren nach sich zieht. Immer noch volle Straßen, volle Haltestellen, andere Buslinien, jede Menge Menschen. Und dann die Erzählungen von Fünftklässlern im Treppenhaus im Ohr, auf dem Weg nach oben. Immer wieder schwankend zwischen dem Wunsch, nochmal mit dieser unvoreingenommenen Begeisterungsfähigkeit für die Welt im Allgemeinen beschenkt zu sein - und der Frage, ob man selbst im vergleichbaren Alter auch schon so abgeklärt und nüchtern auf manche Themen dieser Tage geblickt hat. Noch ein Kaffee. Wind in staubigen Regalen. Die zeitliche Leere zwischen zwei Telefonaten.

(Noch mehr Zeit im Leerlauf. Der Supermarkt des geringsten Misstrauens weist neue Auszubildende ein, während der Stoßzeit. Anwohner tragen es mit Fassung, die späten Pendler hinter den vollen Körben sind deutlich genervter. Bei schweren Dingen unterstützt man sich, ein junger Mann dankt in Gebärdensprache, bevor er seine Waren bezahlt. Mittlerweile hat das Mädchen an der Kasse auch die letzte Nummer, die dem Computer fremd war, korrekt abgetippt. Lautsprecher schweigen heute. Gänsehaut in der grellen Kälte der Halle. Dichte Wolken schweben vom Fluss her durch weite Himmel. Über den Parkplatz weht ein Duft von Patchouli, Gräsern und Regen.)

Später, kurze Runde über den Beton, zur geistigen Hygiene und um Bilder zu wechseln. Auf der missverstandenen Foodsharing-Ablage finden sich heute Dauergebäck und Instant-Suppen, und mitunter stolpert man über die Frage, ob die Nachbarn das Konzept wirklich missverstanden haben oder die Probleme vielleicht woanders liegen. Im Supermarkt des geringsten Misstrauens stapelt ein junger Praktikant Thunfischdosen in den Angebotsbereich, direkt neben das Regal mit wechselnden Schnäpsen, das seit den Lockdowns nie wirklich verschwunden war. Wer kann, geht Mittagspausenbeschäftigungen nach und lässt sich Zeit. Wer nicht kann, zeigt das in zorniger Rücksichtslosigkeit gegen alles und jeden, drängelt und schimpft und manchmal erklärt das Kleine das Große. (Limonade und vegetarischer Brotaufstrich, oder: Wie aus dem Fehlkauf die Gewohnheit wird. Wärme unter glattblauem Himmel.)