Schließlich darf der Abend langsam verhallen. Klare Finsternis über den Dachfirsten der Quartiere, einzelne Sterne weit voneinander und weit von hier, schwache, aber vertraute Lichter. Unscharfe Bewegungen im Zwielicht, entweder ziehen Fledermäuse ihre Kreise oder die Fantasie des späten Moments malt Trugbilder in den Schein rostroter Laternen, vor die Leinwand alter schwarzbrauner Fassaden. (Kapuze über dem Kopf, dem erschöpften Geist, den aufgekratzten Gedanken. Fokus gilt der eigenen Nasenspitze und den Worten auf und zwischen den Zeilen. Nachsinnen über leere Akkus und Auffrischen gewisser Reserven. Bilder von Notwendigkeiten und schlechten Analogien. Unten schlägt eine Autotür, eine Alarmanlage brüllt kurz, hinter einigen Fenstern regt sich vorsichtiges Interesse. Dann ist der Spuk vorbei, und der Nacht bleibt ihre formlose Stille.)
(Ab einem gewissen Punkt erkennt man in der schweigsamen, unnahbaren Nacht keine Veränderung mehr. Irgendwo hinter den Wänden schlägt eine Uhr. Regen und Wind über den Dächern, dichte Wolken ohne Sterne oder Mond. Spotlights einer Diskothek ziehen unstete Muster in den Himmel. Einige junge Frauen überqueren die Kreuzung stadtwärts, von der Kneipe her klingt es ruhiger als sonst. Schlafend oder nicht, jeder schreibt seine Geschichte fort, während die Stunden eisern weiterzählen. Wer bis in den Morgen wacht, kocht Kaffee und bezahlt das Taxi.)
Irgendwann: Kaltes Licht über allem. Wieder erstaunlich viel Mond, scheinbar ganz plötzlich. Umfasst von rissigen Wolken, deren Formen sich beständig dem Blick und der Beschreibung entziehen und in denen Geister leben könnten. Eine einzelne helle Lampe gegenüber, hinter geschlossenen Fenstern, umringt von Kisten, Kartons, Pappe, Fußboden bis zur Decke. Es ist wieder Bewegung im Viertel, neue Möbel, neue Gesichter, ein langsamer Rhythmus mit Taktschlägen am Ende des Sommers. Augenblicke in Ruhe verharrend, zumindest körperlich, an der wärmer werdenden Heizung. Nur die üblichen Affen tanzen und springen. Wie so gern am hinteren Rand langer Tage.
Immer noch früher als sonst: Vergessene Dinge aus der Tagestasche angeln. Verschiedene Batterien laden. Überlegen, ob man bestimmten Benachrichtigungen bestimmter Systeme nachgehen sollte, oder ob es ein Filter auch tut. Langsam beginnt die Heizperiode; die Menge möglicher Zustände in diesen Wänden verdoppelt sich: Zu hell. Zu dunkel. Zu warm. Zu kalt. Immer die Mittellinie kreuzen, immer in Bewegung bleiben, und sich immer irgendwie an banalen Realitäten reiben - müssen oder können. Dieser Abend sieht wieder mehr offene Fenster, mehr Windlichter auf den Terrassen, dieser Abend hört wieder mehr Gespräche in den Höfen als unter den Fußböden und Teppichen. So haben die gesprochenen Worte zumindest mehr Raum. Irgendwo leben auch heute die musikalischen 1980er, brüten Studenten in kleinen Zimmern über Büchern, finden Nachbarskinder keinen Schlaf, sitzt der orangefarbene Fahrradbote müde auf dem Bordstein und leert einen Energy-Drink. Lange Nächte unter Wolken, kein Polarstern, keine Navigation.
Weiter vorn in die Woche, eine ähnliche Stunde, wieder hier. Feierabendbier am offenen Fenster, gegenüber blinzeln bunte Lichter aus einer Disko-Kugel, die seit Kurzem mitten im Wohnzimmer hängt und zu Unzeiten angestrahlt wird. Aus Straße und Fassaden flieht letzte Wärme der heutigen Sonne in die heraufziehende Nacht, in der Luft hängt ein unbestimmtes Gefühl von Regen, mildem Herbst und langen Fahrten über brachliegende Felder am Rande der Dämmerung, wenn die eigenen Scheinwerfer Spuren in die hohen Gräser der Raine malen und die Augen gerade noch die Silhouette der Stadt am Horizont erkennen können. Unter manchen Wochen des Kalenders sind im Flug der Jahre mehr Bilder verborgen worden als unter anderen, und manchmal, in manchen Augenblicken, treten diese deutlicher zutage. (Und manchmal bleiben Lücken im stetigen täglichen Wogen aller Dinge, sich daran festzuhalten und sich ein wenig darin zu treiben zu lassen.)