Später entschloss sich die Nacht doch dazu, Regen über die Dächer zu schicken, intensiv und kurz, vielleicht auch nur ein Traum vielstimmigen Rauschens. Noch immer hallt der Abend nach, wehen Konturen von Bildern durch den Geist, und ein Netz aus Orten, Personen und Ereignissen, das irgendwann im Halbschlaf sichtbar geworden ist und in demselben Zustand verweilt, in dem so viele Themen verharren, denen man um diese Zeit anheimfällt und die einen lang begleiten, vage und doch spürbar präsent. Morgenbus auf nasser Straße, und der Signalton, kurz bevor die Türen schließen. Schritte im Treppenhaus, weit unten, fallende Haustür. Terminerinnerungen, die man beiseite wischt. Wasserkessel. Knäckebrot. Regenjacke. Und halb gepackte Tasche. Auch wenn es nie viel zusammenzupacken gibt vor dem Aufbruch in den Tag. Habt es mild heute!

Geschriebene Kommunikation, Küchentisch, im Zwielicht. Dringlichkeiten nachgehen, die übersehen blieben und sich irgendwann wie ein greller Faden durch den Schlaf zu ziehen begannen. Halbwegs klar genug, Themen fassen und artikulieren zu können. Trotzdem Stolpern, über Schuhe und eigene Füße und Katze (entrüstet fauchend) und die gewohnten Unwägbarkeiten eines noch rohen Morgens und über die Unzulänglichkeiten digitaler Werkzeuge, an denen man sich wieder und wieder schneidet und die ganz besonders dann schmerzen, wenn die Fähigkeit zur Kompensation noch ungläubig vor dem Badspiegel steht. Erster Kaffee. Unten schließt der früher Bus seine Türen. Schlüssel klappern. Der alte Zeitungsbote schiebt seinen Wagen von Haus zu Haus, verweilt überall nur kurz. Über allem ein vorsichtiger Hauch Dämmerung. Immerhin. Habt es mild heute! 

Was von der Nacht liegenblieb: Ein Origami-Schwan auf faltigem Tischtuch. Ein geöffnetes Buch, Hochglanzfotos und verlorene Orte. Blumen in den Bildern, Blumen im Keramikkrug mit den blauen Ornamenten. Und die schöne Vorstellung, dass Geschichten auch leben durch das Gefühl des schweren Papiers unter den Händen, den Duft von Druck, Farbe und Bindung, die räumliche Begrenztheit im Eigenleben unsortierter Regale. (Abwegigkeiten. Früh, in den Stunden, bevor alles wieder erwacht. Früh, vor dem ersten Kaffee und dem gewohnten Weg. Habt es mild heute!)

(Schließlich: Wieder aufwachen. Neuer Morgen zwischen schmalen Augenlidern. Abkühlung, ein vorsichtiger Lufthauch lässt Staub tanzen. In der Straße schreit die Alarmanlage eines Autos mit den Schwalben um die Wette, das Wasser für den zweiten Kaffee köchelt langsam und die angerissenen Themen haben Schlaf und Dämmerung wieder überdauert. Also: Letzte Müdigkeit erfolglos aus den Falten zu waschen suchen. Verknittertes Gefieder glattstreichen. Und zurück auf das Spielfeld, so lang die Wärme Bewegungen noch nicht unerträglich macht. Habt es mild heute!)

Blinzeln im Sonnenaufgang, frühe Stadt hinter weit geöffneten Fenstern. Beizeiten den Kontakt zum Schlaf verloren, aber liegen geblieben, weit es für mehr Aktivitäten noch keinen Grund gab. Einige Etagen weiter quieken die Kinder schon auf dem Balkon, singen Lieder laut und schief. Kurz geistert ein dumpfer Schmerz durch das Bewusstsein, und die Reste des leisen Dämmerns verschwinden in der Betrachtung der Frage, ob dieser real oder nur Nachhall flüchtiger Träumen war. Vorsichtige Schritte in den Morgen. Kaffee, Melone, frisches Brot. Unschlüssig, ob man den Tag formen will oder ihn einfach nur zulässt. Habt es mild heute!