(Deutlich später: Die Umwelt klingt merkwürdig an diesem Abend. Es dauert einen Moment, bis sich die Idee einstellt, die Kopfhörer abzunehmen, deren Sprache und Musik längst verklungen sind. Merkwürdige Routine, merkwürdige Unbewusstheit. In den Stunden seit der Dämmerung holten die Nachbarn einige Lichter mehr in ihre Küchen und Wohnzimmer, hängte Sterne unter Decken und stapelten Schächtelchen auf die Fensterbretter. Aber plötzlich haben alle wieder von ihrem Treiben abgelassen, plötzlich liegen die Fassaden wieder dunkel und fast konturlos vor dem Restschimmer anderer Viertel. Hinter der Wand diskutieren die jungen Nachbarn Möbelaufbau und Lüftungsverhalten, man lotet die verbalen Möglichkeiten aus und irgendwann reißt die Konversation ab im Schlagen einer Tür, auf dass der Boden erzittert. Oder: Von der Kunst, trotzdem Ruhe zu finden.)

Es wird wieder Abend. Der späte Sonntag schwankt zwischen dem kurzen Geschenk ereignisloser Ruhe, dem rauschenden Nachhall schneller, voller Tage und dem Vorausahnen in Pläne und Wünsche hinter dem Mitternachtshorizont, samt aller Unregelmäßigkeiten. Alles also wie immer. Heißes und kaltes Wasser, kurzes Zittern unter rauhem Handtuch, das stoppelige Grau vor dem Spiegel glattstreichen. Sich Schnee in die Nachtluft denken, auch wenn es dafür weiterhin deutlich zu warm ist. Beobachten, wie die Sterne und Lichter auf den Balkonen und über den Höfen mit jeder neuen Dämmerung etwas dichter und heller werden. (Wegweiser durch die bergigen Ebenen unruhiger Träume.)

Und dann die andere Hälfte des Tages, schon wieder: Wortwechsel im Treppenhaus. Humor funktioniert nicht immer, und manchmal geht man in peinlicher Berührtheit auseinander. Nur einige wenige Kinder haben ihre Eltern auf nasse Wege locken können, kaum Laternen, die diese Stunden erhellen. Stattdessen tanzen und zerfließen Neonlichter in den großen Pfützen, unter denen sich der Stadtbeton heute versteckt. Im Zeitungsregal blättert man durch diese Magazine von früher, und legt sie zurück, weil sich der Zugang nicht mehr einstellen will. Daneben liegt eine Palette neuer Telefonbücher, noch halb in Folie, einige wenige Exemplare sind verteilt. Das Wort Anachronismus kommt einem leicht über die Lippen und wiegt schwerer, wenn es auf den eigenen Schultern zu lasten beginnt. (Irgendwie ist immer alles anders. Zu Beginn des Jahres, am Ende des Jahres, in diesen Zeiten, in anderen. Vielleicht fiel es früher nur nie so auf...) 

Flüchtige Bilder entlang des Weges: Ein weißbrauner Pilz unter dichter werdenden Fliederlaub. Die wirklich letzten Blumen des Jahres, Herbstastern und noch ein paar Ringelblumen. Eine Linienmaschine im Halbkreis vor wolkigem Himmel, den der Tag hat matt werden lassen. Gegenüber werden die Wochenendeinkäufe auf den Bordstein geladen, Parker in zweiter Reihe umgeben von unwilligem Drängeln und Blinken. Erste Nachtschwärmer schnüren die Stiefel, müde wirkende Männer in Geschäftsuniform warten an roten Ampeln. Mit der nächsten Straßenbahn sind sie alle irgendwo und der Abend sucht immer noch nach sich selbst. 

Schließlich: Aufschauen von Bildschirmen. Ablassen von dem, was die Stunden prägte. Blick über das Viertel aus kleinen Pupillen. Gegenüber hinter dem Balkonglas bewegt sich ein Mensch behutsam in verschiedene Positionen des Yoga, daneben führt die junge Frau ein sichtbar forderndes Telefonat. In der Kneipe flackert die Schaufensterbeleuchtung, auf der Straße davor startet noch ein Auto irgendwohin nachtwärts, biegt mit langen Lichtkegeln um die Kurve, ist schon bald zwischen Häusern und Fluss verschwunden. (Musik der Häuser verklang längst, für den Abend. Wenn man die Augen schließt, ist die Stille in diesen Mauern, um diese Zeit, noch beeindruckender. Was Heute bleibt, sind Träume und Sterne.)